Montag, 12. September 2011

La Psychose

Die Zeit der warmen Tage hat begonnen. Für diese Periode des Jahres stehen jeweils die Fribourger Alpen auf dem Programm. Mein Ziel sind die einzigartigen Felsformationen der Gastlosen, welche dank perfekten Kalkwänden bis über die Landesgrenze hinaus bekannt sind. Auf fast 1900 Metern über Meer bieten die Nordwände auch bei hohen Temperaturen ideale Bedingungen.

Die einzigartige Lage fordert aber seinen Preis und viel Einsatz. Denn die Reise dauert für mich ganze zwei Stunden bis zum Parkplatz. Von dort aus muss zusätzlich bis zu einer Stunde Fussmarsch dazugerechnet werden. Am Wandfuss angekommen, geniesst man dann eine herrliche Aussicht im Schatten von riesigen
Überhängen.

Obwohl die Gastlosen auf meiner Prioritätenliste ganz oben standen, besuchte ich dieses Gebiet in diesem Jahr erst Mitte Juli. An diesem Tag besuchte ich den Sektor „Col d’Oberberg“. Der gewaltige Überhang mit ewig langen Routen, ist er sehr eindrücklich. Dieser Sektor ist vor allem bekannt durch schwere Klassiker wie die „Torture physique“.

Auf Empfehlung meines Kletterkollegen versuchte ich die Route „La psychose“, welche als harte 8c gilt. Von Beginn weg war ich von den rund fünfzig Klettermetern begeistert. Sehr steil und mit einem ordentlichen Ausdauerfaktor entspricht diese Route genau meinem Geschmack.

Ich war gefangen…

Aber wie lang wird die Saison hier oben noch dauern? Habe ich genügend Möglichkeiten um zurückzukehren?

Ich war bereit alles zu versuchen…

Da ich nicht sehr oft in der Route trainieren konnte, richtete ich die restlichen Klettertage und Trainingseinheiten nach diesem einen Ziel. Mit diesem Gedanken spulte ich Züge um Züge in den nahen Gebieten und versuchte meine Maximalkraft gleichzeitig zu steigern. Der Plan funktionierte. Als ich wieder die Route versuchen konnte, machte ich erhebliche Fortschritte. Mit diesen Erfolgen wuchs aber auch das Bewusstsein, dass ich die Route durchsteigen könnte. Dieser Faktor wurde mir dann am siebten Tag zum Verhängnis.

Im dritten Versuch des Tages konnte ich die Boulderstelle überwinden und befand mich nun an der Rastposition. Es dauerte sehr lange bis sich die Arme zu erholen begannen. Eine Woche zuvor habe ich die die nächsten 25 Meter bereits in wesentlich schlechterer körperlicher Verfassung geklettert. Doch jetzt musste ich hochkommen. Zum ersten Mal in diesem Jahr wurde mir diese „müssen“ wichtig. Die Gedanken kreisten in meinem Kopf. La psychose. Eine psychologische Spirale zeichnete sich ab. Wie oft stand ich schon in ähnlichen Situationen. Es gelang mir nur teilweise abzuschalten. Der zweite Teil begann. Wie bei einer einstudierten Kür spulte ich das Bewegungsprogramm ab. Doch dann geschah es. Auf fast 40 Meter, verwickelte ich mich bei einem kleinen Trittfehler. Schnell korrigierte ich die Position. Aber im gleichen Moment zögerte ich. Der anstrengende Blockierzug wir zum Nervenspiel. Ein Zentimeter fehlte schliesslich. In hohem Bogen flog ich aus der Wand. Alle weiteren verbalen Ausflüchte möchte ich hier nicht erwähnen.

Gescheiter an den eigenen Gedanken. La Psychose. Scheinbar sei der Erstbegeher
bis zu sechs Mal an dieser Stelle geflogen…

Während den folgenden Tagen beschäftigten mich diese Gedanken immer wieder. Wie für einen anstehenden Wettkampf bereitete ich mich bis ins kleinste Detail vor. Eine Woche später konnte ich dann nochmals antreten. Ich meisterte die Situation. Im ersten Versuch kämpfte ich mich hinauf. Die letzte entscheidende Stelle wo man wie ein Kunstturner in der Position des Kreuzhangs auf abschüssigen Tritten die Füsse wechseln muss, war eine knappe Angelegenheit. Aber diesmal blieb das Vertrauen. Beim ablassen ist dann schon fast Feststimmung aufgekommen, da etwa zwanzig Personen das Geschehen beobachteten und mich mit Applaus auf dem Boden empfangen haben.