Beim Wintertraining im Boulderraum fragt mich Kathy, ob ich interessiert
bin, die Route 6.4 Sekunden im Sommer zu versuchen. Die Idee gefällt mir gut!
Vorerst fehlt mir jedoch die Zeit dafür.
0.1 Sekunden, die Zeit läuft…
Juli 2021, der erste Tag und die Begeisterung ist da. Dass die Route 6.4
Sekunden an der Fürenwand auch bei wechselhaftem Wetter kletterbar ist, gibt
mir Mut dieses Projekt zu starten. Wie auch, dass es möglich ist die einzelnen
Seillängen allein auszuchecken. Mögliche Tage sind begrenzt, die Kletterpartner
dafür rar und ein Erfolg sehr ungewiss.
1.0 Sekunden, es macht Spass!
Freunde sind zu begeistern mitzukommen und der Rotpunktdurchstieg der Länge 5
gibt Zuversicht.
2.0 Sekunden, rote Punkte…
Der Rotpunktdurchstieg der Länge 3 zeigt mir, dass die Fortschritte kommen. Nun
beschäftigt mich das Projekt gedanklich stark.
Putzen Putzen! |
3.0 Sekunden, harte Arbeit!
Das Handling wird optimiert und die Planung konkreter. Nebenbei nähe ich eigene
Rope-Protectoren, installiere ein Statikseil und starte das Rebolting der Route
mit rostfreiem Material.
Rebolting mit Inox-Ware! Vorbereitung!
4.0 Sekunden, spezifische Vorbereitung…
Es will nicht klappen erneut in der Fürenwand zu sein. Deshalb trainiere ich in
anderen Felsprojekten und mache sogar zwei gezielte Lead-Trainings. Die
Ausdauer wird besser und der Wille für Durchstiege ist nun da.
5.0 Sekunden, geteilte Freude!
Tag 6, ein erster Rotpunktversuch mit Kathy, die Form stimmt und wie üblich
regnet es. Die 2. Länge verpasse ich nur knapp. Da Kathy jedoch erfolgreich ist,
wechsle ich die Rolle und unterstütze sie. Die Freude an ihrem erfolgreichen
Rotpunktversuch ist gross und ich motivierter denn je.
6.0 Sekunden, die Route und ich!
Allein in der Wand, die Sonne brennt und ich schwitze. Obwohl das gar nicht
meine Bedingungen sind, versuche ich mehrere Male ein einziger dynamischer Zug
in der Länge 2. Mit dem Toprope-Solo-Durchstieg der L6 weiss ich nun endgültig,
dass nicht mehr viel fehlt. Bis auf das Wichtigste, eine Kletterpartnerin oder
einen Kletterpartner.
6.1 Sekunden, gegen die Zeit!
Die Herbstferien in Kroatien stehen an, die letzten Arbeitstage sind gefüllt
und ein einziger freier Tag in der Agenda. Aufgegeben habe ich die Suche nach
einer Begleitung für den Rotpunktversuch zu Beginn der Woche. Etwas frustriert versuche
ich mein Projekt zu vergessen…
6.2 Sekunden, aus dem Nichts…
Mittwochabend, 21.00 Uhr, eine Nachricht und ein langes Telefonat. Ein
Kollege ist spontan motiviert für die Unterstützung beim Durchstiegsversuch und
diese Chance muss ich nutzen. Aufgeregt packe ich alles und trinke ein Bier, um
überhaupt noch einschlafen zu können.
6.3 Sekunden, alles stimmt!
Donnerstag, der 30. September, Tag 8. Engelberg bei Nebel und alle umliegenden
Wände nass. Auch die Fürenwand kriegte einiges an Wasser ab. Bei frostigen
Temperaturen von unter 10 Grad seilen wir ab, um uns danach auf der
Einstiegsterrasse aufzuwärmen. Da die letzten beiden Längen noch nass sind,
kann ich in Ruhe auf die Sonne warten. Endlich ist es kalt genug und die Züge
fühlen sich leicht an beim ersten Versuch. Zwei weitere brauche ich für den
erfolgreichen Durchstieg der Schlüssellänge. Roby jümart schnell und ich
bereite mich auf die kommenden Züge vor. Es passt alles und die Längen 3-6
gelingen mir erstaunlich sicher jeweils im 1. Versuch. Nun kommt die mir noch
unbekannte letzte Länge. Neben dem abenteuerlichen Gelände ist die
Schlüsselstelle nass. Dort tropfe ich im ersten Versuch ab und spüre die müden
Arme. Beim folgenden Versuch kämpfe ich mich durch die steile Abschlusspassage
und muss mit der Ferse voran auf den Abschlusshenkel, da die Oberarme krampfen.
Fertig! Alle 7 Längen Rotpunkt in rund 5 Stunden.
L2 im Nebel! |
Roby die Jümar-Maschine! |
Fix und fertig;-) |
Im letzten Licht! |
6.4 Sekunden, vorbei!
Wieder auf dem Boden stehend,
Gedanken im Winde wehend!
Es ist soweit,
gestoppte Zeit.
Ein grosser Dank gilt allen Freunden, welche sich in die ausgesetzte Wand wagten!
Mit Angie im Nebel! |
Üsi Bedingige - mit Mäthu in der Wand! |
Julien versucht die L3! |
Sowie dem Erschliesser Matthias Trottmann für diese einzigartige und
abenteuerliche Route!
Meine persönliche Einschätzung liegt bei insgesamt 8b/+ für die 7. Seillängen
(6c, 8b/+, 8a/+, 7c+/8a, 8a, 7c+/8a, 7b).